Ankunft und die ersten 11 Tage

Nach elf Tagen in Bosnien und Herzegowina kommt jetzt endlich ein Update von mir. Am besten starten wir am Anfang der Reise, am Donnerstag, den 24. August. 

Abschieds- bzw Ankunftstag

Der Abschiedstag war sehr emotional. Denn plötzlich stehen meine Freunde vor der Tür und halten ein Plakat mit den Worten ,,Gute Reise!" hoch. Da hat es wirklich Klick gemacht. Ich werde für ein Jahr weg sein...


Am Zagreber Flughafen wurde ich von Emina, meiner Ansprechpartnerin vom JRS (Jesuit Refugee Service) sehr herzlich und überschwänglich begrüßt. Bei einer Tasse Flughafenkaffee haben wir uns etwas kennengelernt und sind anschließend zwei, drei Stunden nach Bihać gefahren. Ich war erleichtert, wie ungezwungen ich mit ihr Englisch sprechen konnte. 

Bihać ist eine 60.000 Einwohnerstadt im äußersten Nordwesten von Bosnien und Herzegowina und liegt nahe der Grenze zu Kroatien am Fluss Una. 


Während der Autofahrt habe ich staunend die beeindruckende Landschaft mit ihren vielen Tälern und Bergen bewundert. Emina hat mir daraufhin erzählt wie problematisch die Berge für Flüchtlinge werden können.


Ich habe einen kleinen Kulturschock bei der Fahrweise mancher Bosnier erlebt. 


Abends angekommen im Apartment oberhalb des JRS office, in welchem wir allerdings nur vorübergehend untergekommen sind,  habe ich Malou und ihren Vater kennengelernt. Malou ist meine Mitbewohnerin und ist mit der Organisation "Jesuitvolunteers" hier. Sie hat mit ihrem Vater die 1400km Strecke von Jena nach Bihać mit dem Fahrrad zurückgelegt. Malous Blog ist unten verlinkt! 




Wie Urlaub

Die nächsten drei Tage haben sich unecht angefühlt, fast wie Urlaub. 

Am ersten Tag haben wir Klemens, einen von den beiden vorigen Freiwilligen kennengelernt und Roberta und Vedran, die beiden anderen Hauptangestellten beim JRS Bihać. Wir sind zusammen an der Una, dem Fluss an der Grenze zwischen Bosnien und Kroatien, essen gegangen. Das gute Wetter, das klare, blaue Wasser und die Empfehlung eines badenden Einheimischen haben dazu eingeladen, die Una ein bisschen zu erkunden. Vorbei an einem kleinen, idyllischen Zeltplatz, über bedenklich zusammengebaute Holzbrücken, bis zu einer kleinen Kasskade. 

Danach sind wir an einen verträumten Badeort gefahren. 



Am nächsten Tag haben Klemens, sein bester Freund, Malou und ich den Una Nationalpark besucht. Der Wasserfall war mit einer Höhe von 24m wirklich beeindruckend.

Der Una Nationalpark
Der Una Nationalpark

Den Sonntag werde ich nicht so schnell vergessen. Nicht nur weil wir an diesem utopischen Plätzchen an der Una, nur fünf Minuten von unserem Apartment entfernt, gefrühstückt haben:

Die Una
Die Una

...sondern auch weil ich mich abends auf dem eigentlich zehnminütigen Weg in die Stadt so stark verradelt habe, dass Parkbänke als Schlafmöglichkeit gar nicht mehr so abwegig schienen... Weil ich noch keine bosnische Sim Karte hatte, konnte ich nicht Malou anrufen. Dabei wollte ich doch nur ein neues Ciabatta Brot besorgen, weil unser altes im Ofen verbrannt ist. Malous und mein Plan war es, Emina als Dankeschön für ihre Mühe mit uns und die mehrmals ausgegebenen Kaffees, eine Tarte zu backen.


Der Grund, wieso ich hier bin...

Meine Arbeit.
Kennt ihr das, wenn ihr so viel zu erzählen habt, das ihr gar nicht wisst, wo ihr anfangen sollt? So fühle ich mich gerade und das ist auch der Grund, wieso so lange nichts von mir kam.

Da ich noch keine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit geflüchteten Menschen hatte, war meine Erwartungshaltung entsprechend niedrig. Ich wusste nur, dass ich Lust habe Menschen zu helfen, wo ich kann und
andere Perspektiven auf das Leben kennenlernen will. Aber bin ich überhaupt qualifiziert genug, um wirklich einen guten Einfluss auf die Menschen ausüben zu können? Es gibt so viele andere Menschen, die besser für diese Stelle ausgebildet wären. Ist es nicht naiv, als 18jährige Abiturientin in einem Flüchtlingslager zu arbeiten? Mich haben die Gedanken beruhigt, dass man Empathie mit keiner Qualifikation erwerben kann und ich als Freiwillige sowieso keinen wichtigen Part einnehmen dürfe. Beim letzten Punkt muss ich jetzt schon etwas schmunzeln, denn die Verantwortung ist doch ein bisschen größer, als gedacht, aber das ist trotzdem nicht unbedingt schlecht.

Malou und ich sind für den IT shop und den Friseursalon (Barber Shop) im Camp Lipa zuständig. Unsere Arbeitszeiten sind von 10 - 15:30 Uhr. Das Camp Lipa haben die einen oder anderen vielleicht schonmal in den Nachrichten gehört. Es befindet sich ca. eine halbe Stunde von Bihać entfernt und ist umgeben von Bergen und noch ein paar mehr Bergen. Und irgendwann auch einer größtenteils asphaltierten Hauptstraße, die einen sechs Stunden Fußmarsch nach Bihać anbietet. Zum Glück fahren wir die 30km jeden Tag mit dem Auto.

Mein allererster Arbeitstag (Montag, 4.9.) im Barber shop war sehr turbulent. Aber ich war erfüllt von viel Wärme, Dankbarkeit und Menschlichkeit nach dieser Arbeit. Der Stellenbeschreibung nach besteht meine Aufgabe lediglich darin, die Namen der "brothers", die ihre Haare geschnitten bekommen wollen, einzutragen und für Ordnung im Container zu sorgen. Aber schon nach diesem einen Tag habe ich gemerkt, wie viel mehr dahinter steckt. Es geht darum, die Menschen für einen kurzen Moment in eine sorgenfreie, entspannte Welt mitzunehmen. Meine Musikbox hat afghanische, marokanische und Shakira Lieder rauf und runter gespielt. Es wurde getanzt, gelacht, unterhalten oder einfach geschwiegen. Eine sehr natürliche und harmlose Atmosphäre, die mich positiv überrascht hat. Oft werden flüchtende Menschen in Medien so stigmatisiert, dass man manchmal vergisst, dass sie genau so individuelle und fühlende Menschen sind, wie wir alle. Und trotzdem muss man berücksichtigen, dass einige Unfassbares erlebt und gesehen haben könnten, das sie traumatisiert und im Verhalten stark verändert hat.
Das nicht alles harmonisch läuft habe ich direkt nach der Mittagspause gelernt. Eine kleine Auseinandersetzung zwischen zwei brothers, die aber schnell von einem Camp- polizisten geschlichtet werden konnte.
Es war wuselig, viele Menschen, eine aufgeladene Stimmung aufgrund der langen Wartezeit. Es war schwierig, jedem gleich viel Aufmerksamkeit zu schenken und jeden als eine ganze Person wahrzunehmen.
Die Arbeit im IT shop am nächsten Tag war dagegen wie Urlaub. Ich habe einem jungen Iraner, der sehr gut Englisch sprechen konnte, ein paar praktische deutsche Wörter gezeigt und ich habe ein bisschen mehr Einblick in sein Leben bekommen, als es im Barber shop bei den anderen möglich war. Trotzdem hat er ziemlich schnell abgeblockt, als ich ihn über die Lage in seinem Heimatland gefragt hatte. Man hat gesehen, wie er mit den Tränen gekämpft hat und die positive Fassade bewahren wollte.

Eine andere Begegnung, die mir im Kopf geblieben ist, war mit Ibrahim, einem alten Mann aus Afghanistan. Er hat von dem alltäglichen Rassismus erzählt, der ihm in Bihać von ein paar lokalen Leuten entgegen gebracht wird. So verscheuchen ihn viele Cafebesitzer, obwohl er Geld zum Bezahlen besäße. Auf die ausgelutschte Frage eines Spaziergängers, woher er denn komme, antwortete er aus ,,Humanstan".
Als Streetartkünstler will er nun sein Glück in der bunten Hauptstadt Sloweniens, Ljubljana, probieren. Besonders in Erinnerung geblieben ist er mir, weil er eine außergewöhnlich moderne Weltauffassung trug, die ich nicht von jemandem aus Afghanistan erwartet hätte (bezogen auf Homosexualität und Gleichberechtigung). Er hat uns außerdem die Sängerin Melody Gardot ans Herz gelegt.

Der IT Wettbewerb
Der IT Wettbewerb

Im IT shop habe ich am Montag einen Schnell-Finger-Tipp-Wettbewerb veranstaltet. Den hat unsere Projektleiterin, Emina, ins Leben gerufen, um die Migranten zum einen Computerkenntnisse zu vermitteln, und zum anderen um ihnen das latainische Alphabet und die englische Sprache näherzubringen. Da der IT shop etwas versteckt im Camp liegt und viele nicht von ihm wissen, musste ich mich ins Zeug legen, fünf Teilnehmer zu finden. Dazu bin ich zum "social café" gegangen, das von einer anderen Organisation geleitet wird und der Hotspot für die Migranten ist. Mit dem Google Übersetzer und einem englischsprechenden Algerier, der als Dolmetscher diente, konnten wir dann schließlich den IT Container füllen. Es kamen sogar noch zwei mehr. Der Wettbewerb bestand aus drei Runden, in der ersten habe ich einfache englische Wörter gesagt, die sie abtippen sollten. In der zweiten Runde waren es Zahlen und als letztes sollten sie einen Text abtippen. Derjenige, mit den wenigsten Fehlern und der besten Zeit hat gewonnen. Süß war, dass der Gewinner (der Algerier, der den anderen aufgrund seiner Englischkenntnisse überlegen war) es verheimlichen wollte, um den sichtbaren Lernflow und Spaß der anderen nicht zu unterbrechen.

Am Ende hat jeder ein kleines Geschenk bekommen, weil sie sich alle angestrengt und die verschiedensten Bildungsbiographien haben. Manche konnten die Laute nicht in das lateinische Wort übertragen. Deshalb wäre es bei manchen sinnvoller gewesen, wenn sie es selbst abgelesen hätten. Aber es ist ein Balanceakt, die Aufgaben den Niveaus aller Teilnehmer anzupassen und dabei nicht die eine Gruppe zu unterfordern und zu langweilen, damit die andere Gruppe so gerade mitkommt.


Sie haben lachend und heiter den Container verlassen und das ist das Wichtigste.


Neben der Arbeit in Lipa sind wir auch im Familiencamp Borići und gehen ins sogenannte "Outreach", das die Verteilung von Nonfood Artikeln an Migranten unterwegs meint. Dem JRS geht es nicht darum, materielle Sachen abzuliefern und wieder wegzufahren, sondern etwas Zeit mit den Menschen zu verbringen. Emina ist gut darin, sie mit ihrer positiven Energie zum Lachen zu bringen. Beim letzten Outreach haben wir eine Gruppe von Geflüchteten nach einem Pushback (die illegale und meist gewaltvolle) Abweisung der Flüchtlinge an der kroatischen Grenze) und vor einem Fluchtversuch angetroffen. 


Im Camp Borići haben Malou und ich mit einem Fünfzehnjährigen aus Afghanistan Tischtennis gespielt. Er war sehr aufgeweckt und intelligent und konnte sich gut mit uns auf Englisch unterhalten. Mit neun Jahren sind er und seine Eltern aus Afghanistan in die Türkei geflohen und jetzt versuchen sie es nach Deutschland. 


Außerdem haben wir die italienischen Freiwilligen und andere Flüchtlingshelfer kennengelernt. Sehr liebe und offene Menschen. 


Im Barber shop
Im Barber shop
Im IT shop
Im IT shop
Beim Outreach (Emina und die brothers)
Beim Outreach (Emina und die brothers)

Einleben

So langsam leben Malou und ich uns in unserer Dachgeschosswohnung im fünften Stock ein und haben ihr schon durch einen neuen Teppich und eine andere Möbelanordnung eine persönliche Note verliehen. 


Nicht nur in unserer Wohnung, sondern auch in Bihać leben wir uns so langsam ein. 

So haben wir beispielsweise auf der mittelalterlichen Burg Sokolac übernachtet.

Abendbrot mit Aussicht
Abendbrot mit Aussicht
Zu sehen sind Malou, unser Schlafplatz und der Morgennebel über Bihać
Zu sehen sind Malou, unser Schlafplatz und der Morgennebel über Bihać